Aktuell bei Schmid Rechtsanwälte

Insolvenzrechtliche Maßnahmen und Auswirkungen der Corona-Krise

Problemstellung: Beurteilung der insolvenzrechtlichen Lage juristischer und natürlicher Personen

Anzuwendende Gesetze: InsO und COVInsAG, GmbHG, AktienG etc.

Es gilt:

COVInsAG

COVID-19 Insolvenzaussetzungsgesetz

Das Gesetz tritt nach Beschlussfassung durch den Bundestag und Bundesrat rückwirkend zum 01.03.2020 in Kraft und am 01.04.2021 wieder außer Kraft.

Ziel des COVInsAG ist es, Unternehmen dann nicht in das Insolvenzverfahren zu zwingen, wenn sie ein stabiles Geschäftsmodell haben und die Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) auf die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie zurück zu führen sind. Diese Gefahren versucht das COVInsAG durch tiefgreifende Änderungen im Insolvenzrecht zu begegnen.

Was ist in dem neuen Gesetz COVInsAG geregelt?

Hierzu Folgendes:

1. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen des Coronavirus
Die Insolvenzantragspflicht für juristische Personen aus § 15 a InsO („unverzüglich und ohne schuldhaftes Zögern, spätestens innerhalb von drei Wochen“) ist ausgesetzt.

Die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, wird nach dem COVInsAG grundsätzlich bis zum 30.09.2020 ausgesetzt. Nur wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS COV-2 Virus (COVID-19 Pandemie) beruhen oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, greift die Aussetzung ausnahmsweise nicht (§ 1 S. 2 COVInsAG).

Die Aussetzung wird durch eine großzügige Vermutungsregelung gestützt: War der Schuldner nicht schon am 31.12.2019 zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (§ 1 S. 3 COVInsAG).

2. Prognose: Aussichten zur Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit
Die „Aussichten“ auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit sind nicht zu verwechseln mit der positiven Fortführungsprognose, wie sie bisher aus dem Bereich der Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) bekannt ist. Zahlungsunfähigkeit beruht auf einer zeitpunktbezogenen Betrachtung, nicht auf längeren Zeiträumen (sog. 30 Tage-Regel des BGH). Sie hat auch nichts mit Umsatz des Unternehmens oder der Ertragskraft zu tun. Da die Vermutung des Gesetzes nur dann widerlegt ist, wenn „keine Aussichten“ auf Sanierung zu sehen sind, brauchen keine großen Spekulationen angestellt werden, gibt es keine Begründungszwänge, sondern „keine Aussichten“ liegen nur vor, wenn die Wiederherstellung der Zahlungsunfähigkeit praktisch ausgeschlossen ist.
Das Gesetz lässt offen, wann die wirtschaftliche Situation sich pandemiebedingt wieder verbessert; der Gesetzgeber hat den Verordnungsgeber, also die Exekutive bereits im Gesetz ermächtigt, die Frist vom 30.09.2020 zu verlängern.

3. Geschäftsführerhaftung nach § 64 GmbHG
In § 2 COVInsAG wird die Haftungsgefahr des Geschäftsführers für die Eigenhaftung wegen verspäteter Insolvenzantragsstellung aus § 64 GmbHG reduziert. Das gilt auch gem. § 92 AktienG, § 130 a Abs. HGB und § 99 GenG im Aussetzungszeitraum, also zunächst bis zum 30.09.2020. Dies ist konsequent, denn in der Praxis bestehen gerade bei diesen Haftungsnormen aufgrund der für den Insolvenzverwalter günstigen Darlegungs- und Beweislast für den Geschäftsführer existenzgefährdende Haftungsgefahren.

Praxistipp:
Soweit Insolvenzantragspflichten ausgesetzt sind, gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, also mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmannes geleistet wurden als vereinbart und lösen im Ergebnis keine Haftung des Geschäftsführers aus (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG). Dies gilt insbesondere für solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzeptes dienen

4. Begrenzung der Kreditgeberhaftung: Grünes Licht für fresh money
Frisches Geld genießt in dieser Krise außergewöhnliche Privilegien, auch wenn es von Gesellschaftern selbst kommt. Die Rückgewähr von Darlehen bis zum 30.09.2023 soll nicht gläubigerbenachteiligend sein, wird von der Anfechtung also freigestellt.
Auch das Prädikat „sittenwidrig“ wird durch eine spezielle Vorschrift ausgeschlossen, soweit es um neue Kredite und Sicherheiten geht. In dem Katalog des § 2 COVInsAG werden noch eine Reihe weiterer Rechtshandlungen, die zur Sicherung oder Befriedigung gewährt und diese ermöglicht haben, als unanfechtbar in einem späteren Insolvenzverfahren gestellt.

Praxistipp:
Dieser Anfechtungsschutz gilt für Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen, wie Vermieter, sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten. Sie sollen deshalb vor Anfechtungen in einem späteren Insolvenzverfahren geschützt werden, wenn sie die Vertragsbeziehung nicht beenden.

5. Gläubigerinsolvenzanträge
§ 3 COVInsAG regelt eine spezielle positive Variante, die insbesondere sog. M & A Transaktionen in ihrer zeitlichen Abwicklung nicht tangieren. Wird in den drei Monaten ab Verkündung des Gesetztes ein solcher Antrag gestellt, also ein Gläubigerantrag, so kann ein Insolvenzverfahren daraufhin nur eröffnet werden, wenn der Eröffnungsgrund bereits am 01.03.2020 vorlag. Hierdurch kann die Möglichkeit einer Sanierung durch Hilfs- und Stabilisierungsmaßnahmen eröffnet werden.

6. Insolvenzanfechtung eingeschränk
Bei eingetretener Insolvenzreife gilt für Gläubiger und Vertragspartner stets das erhöhte Risiko, erhaltene Leistungen und Zahlungen in einem späteren Insolvenzverfahren aufgrund von Anfechtung durch den Insolvenzverwalter wieder herausgeben zu müssen.
Das COVInsAG schließt daher generell die Anfechtung von Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben (sog. kongruente Deckung) aus, vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 COVInsAG. Das Anfechtungsprivileg wird für bestimmte inkongruente Deckungen ausgeweitet.

7. Sanierung im und durch das Insolvenzverfahren
Trotz Aussetzung der Antragspflicht bleibt jedoch das Recht des Geschäftsführers bestehen, für die Gesellschaft einen Insolvenzantrag zu stellen, § 15 InsO. Es bleibt ihm somit die Option, die Gesellschaft im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, eines Insolvenzplanverfahrens, einer Eigenverwaltung etc. zu sanieren.
Damit werden die Sanierungsmöglichkeiten erhöht, da insbesondere der Druck zur Antragstellung fehlt. Darüber hinaus ist die jetzige Situation aufgrund der Pandemie eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung stets auch als Möglichkeit zu betrachten, sich von Altverbindlichkeiten, gesellschaftsrechtlichen Fehlentwicklungen etc. zu befreien. Die Gestaltungsformen der Insolvenz werden als Chance verwandt.

Praxistipp:
Stets an die umfassenden Möglichkeiten der Sanierung im Insolvenzverfahren denken. Der Gestaltungsrahmen hat sich durch § 1 ff. COVInsAG erhöht.

8. Risiken und Dokumentation

Um die Insolvenzantragsverpflichtungen der Geschäftsleiter abzugrenzen von pandemiebedingten Insolvenzgründen bzw. nicht pandemiebedingten Insolvenzgründen, ist es angeraten, dass die Geschäftsleiter die Insolvenzgründe dokumentiert voneinander abgrenzen.

 

Rechtsanwalt Dr. Reinhard Th. Schmid
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht